»Es ist unwürdig, um Bildung betteln zu müssen«

Rund 47000 Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien bekommen keine Ausbildung – Interview mit Newroz Dunan in der Jungen Welt. Newroz Dunan ist Sprecherin der Bildungskampagne von »Jugendliche ohne Grenzen«

In Deutschland leben rund 170000 Menschen mit Aufenthaltsgestattung, Duldung oder sogenannter Grenzübertrittsbescheinigung, unter ihnen 47 000 Kinder und Jugendliche. Für letztere gibt es Ausbildungs- und Studienverbote. Dagegen hat »Jugendliche ohne Grenzen« (JOG) eine Kampagne gestartet – was ist ihr Anliegen?
Was mit den Gastarbeitern einst passiert ist, darf sich nicht bei den Flüchtlingen wiederholen. Deshalb haben wir unsere Kampagne gestartet, in der wir Geschichten von Jugendlichen publik machen, die jahrelang zur Untätigkeit verdammt in Lagern herumsitzen müssen. Es ist ja nicht allzu lange her, daß Politiker von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen eines Tages überrascht feststellten: Millionen Menschen, die als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen waren, bleiben auf Dauer.

Das war politisch aber nicht so gewollt. Viel zu spät haben diese Politiker erkannt, daß Bildung und Teilhabe an die Stelle von Diskriminierung und »Rückkehrförderung« treten müssen. Jungen Flüchtlingen ergeht es heutzutage genauso. Obgleich sie größtenteils seit vielen Jahren hier sind, wird ihnen der Zugang zu Bildung, Arbeit und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt. Und das, obwohl in Deutschland 40000 Ausbildungsstellen allein im Jahr 2011 unbesetzt geblieben sind! Mit unserer Kampagne »BILDUNG(S)LOS!«, zu der eine Briefaktion gehört, wollen wir erreichen, daß der Zugang zu Schulen, Unis, Ausbildung und dem Arbeitsmarkt ermöglicht wird – nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.

Was bedeutet es für Jugendliche, denen weder erlaubt ist, eine Ausbildung oder ein Studium zu beginnen, noch eine Arbeit aufzunehmen?
Zum Beispiel Qawa Mohamed: Zehn Jahre war er alt, als seine Familie mit ihm 1996 aus Syrien nach Deutschland floh. Als syrische Kurden wurden sie vom Regime von Baschar Al-Assad verfolgt. Zunächst lief es gut für ihn: 2003 schaffte er seinen Hauptschulabschluß. Aufgrund seiner guten Noten fand er direkt eine Ausbildungsstelle als KFZ-Mechaniker. Dann begannen die Probleme: Die Mohameds wurden in Deutschland nur geduldet. Qawa erhielt wie seine Eltern Arbeitsverbot, er durfte die Ausbildung nicht anfangen. Das Warten begann: Von 2003 bis 2011 – acht Jahre lang! – war er zur Untätigkeit gezwungen. Erst als seine Freunde längst ihre Ausbildungen beendet hatten und eigenes Geld verdienten, konnte er überhaupt anfangen, einen Bildungsweg zu planen. Da war er schon 24 Jahre alt. »Das ist kein Leben, immer nur zu Hause zu sein. Der Staat mußte für mich zahlen, dabei hätte ich mich gerne selber finanziert«, sagt Qawa zu mir.

Wie lauten die Forderungen von JOG?
Wir fordern das Recht auf kostenlose Sprachförderung für alle – von Anfang an. Deutschkenntnisse sind äußerst wichtig, um an der Gesellschaft teilzuhaben. Jeder muß den Schulabschluß nachholen können. Nur so gibt es eine Perspektive auf Ausbildung und Erwerbsarbeit. Studien-, Arbeits- und Ausbildungsverbote müssen abgeschafft werden. Schluß mit Bildungshindernissen wie der Beschränkung unserer Bewegungsfreiheit – keine Wohnsitzauflagen und Residenzpflicht!

Das Asylbewerberleistungsgesetz gehört abgeschafft; wer gezwungen ist, in Flüchtlingslagern unterhalb des Existenzminimums zu wohnen, lebt in Enge und Isolation. Er kann weder lernen noch Kontakte knüpfen. Auch für Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere muß all das gelten. Bildung ist ein Menschenrecht, es ist unwürdig, darum betteln zu müssen, es muß gewährt werden.

Wer steht dafür in der Verantwortung?
Bildung ist Ländersache, die Landtage müssen also den gleichberechtigten Zugang beschließen. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängig, das am 18. Juli ein Urteil verkünden wird. Mit einem generellem Bleiberecht würde der Zugang sowieso leichter.

Insofern werden wir auch mit unseren Forderungen präsent sein, wenn die Innenminister im Dezember in Warnemünde tagen. Wir sind nicht allein: Rund 40 Organisationen unterstützen uns, darunter Pro Asyl, bundesweite Flüchtlingsräte, Migranten-Selbstorganisationen, die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft. Es läuft auch eine Online-Petition.

 

Interview: Gitta Düperthal