Bericht in der Frankfurter Rundschau über den JOG-Aktivisten Bryan Rattan
FR vom 17.10.
Zum Pendeln gezwungen
Flüchtling Bryan Rattan darf wegen Residenzpflicht nicht zum Ausbildungsort umziehen
Von Luisa Jacobs
Bryan Rattan ist einer von den Typen, denen es leicht fällt mit den Behörden. Er vergisst nie Danke und Bitte zusagen. Er beschwert sich nicht, wenn es mal länger dauert und vor allem: Er spricht fließend Deutsch. Trotzdem machen die Behörden es ihm schwer: Rattan darf seinen Wohnsitz in Gießen nicht aufgeben – auch nicht, um zu seiner Ausbildungsstelle bei einem Fairtrade-Unternehmen in Bonn zu fahren.
Denn Bryan Rattan ist in Deutschland nur geduldet, für ihn gilt die Residenzpflicht – eines der umstrittensten Gesetze des deutschen Asylrechts. Sie schreibt Asylsuchenden und Geduldeten wie Rattan vor, sich nur in einem bestimmten Gebiet zu bewegen. Meist umfasst dieses Gebiet ein ganzes Bundesland. In Hessen dürfen sich Asylsuchende und Geduldete nur im zuständigen Regierungsbezirk aufhalten.
Erst zwei Wochen vor Beginn seiner Wunsch-Ausbildung im August erfuhr Bryan Rattan, dass er die Lehre in Bonn anfangen kann – dorthin umziehen darf er aber nicht. Per Sondergenehmigung pendelt er nun täglich von Gießen nach Bonn. Das sind 320 Kilometer am Tag und 304 Euro im Monat. Bei einem Ausbildungsgehalt von 550 Euro fällt das schwer ins Gewicht. Kürzlich hat er sich daher mit einem Härtefall-Ersuchen an das hessische Innenministerium gewandt: Seine letzte Chance, unter normalen Bedingungen arbeiten und leben zu können.
Bryan Rattan ist ein Kämpfer. Wenn er sich ein Ziel in den Kopf gesetzt hat, funkeln seine braunen Augen. Früher, in seiner Heimat in Nordindien, brannte er für das Cricketspiel. Nationalspieler wollte er werden. Heute funkeln seine Augen, wenn er über die Residenzpflicht spricht: „Man fühlt sich wie in einem Gefängnis.“ Für jeden Ausflug muss der Flüchtling drei Wochen vorher um Erlaubnis bitten. Spontan zum Fußballspielen nach Butzbach oder zum Feiern nach Frankfurt fahren – das ist für ihn nicht drin. Das nervt den 22-Jährigen. Zehn Euro kostet so ein Antrag jedes Mal. Kein anderes Land in Europa kennt ein Gesetz wie die deutsche Residenzpflicht.
Als Bryan Rattans Mutter ihren Sohn vor fünf Jahren aus Angst vor politischer Verfolgung auf den Weg nach Europa schickte, sollte er eigentlich bei Verwandten in England unterkommen. Der Schlepper brachte ihn aber nur bis nach Deutschland. Rattans Vater und sein älterer Bruder waren 2007 bei einer politischen Auseinandersetzung in Punjab erschossen worden. „In Indien wird Politik nicht mit Worten gemacht“, sagt Rattan. Doch er redet nicht gerne über seine Fluchtgeschichte. Er will nach vorne gucken.
Im Akkord hat Bryan Rattan die Realschule, das Fachabitur und eine schulische Lehre abgeschlossen. Einmal war er sogar Jahrgangsbester. Nun will er selbst entscheiden, was er mit seinem Leben anfängt. Der Fairtrade Bereich gefällt ihm so gut, weil er anderen Menschen helfen kann: Eine Alternative im gleichen Sektor gibt es in Gießen nicht.
Um die Ausbildung anfangen zu können, ist Bryan Rattan durch alle Instanzen gegangen. Zweimal hat er Asyl beantragt, zweimal wurde der Antrag abgelehnt, nun ist er geduldet. Auch ein Petitionsantrag an den hessischen Landtag blieb erfolglos. In Hessen soll die Residenzpflicht nun bald gelockert werden, das hat Innenminister Boris Rhein (CDU) diesen Sommer angekündigt. Künftig sollen Asylsuchende sich im gesamten Bundesland aufhalten können. „Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, findet Bryan Rattan. In seinem Fall bringt die Lockerung allerdings nichts. Dafür müssten die Politiker in Hessen noch einen Schritt weitergehen und länderübergreifende Beschränkungen aufheben.
Berlin und Brandenburg sind die ersten Bundesländer zwischen denen Asylsuchende sich frei bewegen können. Auch die Opposition im hessischen Landtag fordert eine bundesweite Aufhebung der Residenzpflicht, Innenminister Rhein hält das jedoch für unnötig. Bryan Rattan will die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben: „Als Geduldeter muss man eben viel Geduld haben.“
FR vom 18.10. S. F16 (Hessen):
SPD will Hilfe für Flüchtling
Residenzpflicht soll fallen
Der Fall des indischen Flüchtlings Bryan Rattan zeigt nach Ansicht der SPD, dass die Residenzpflicht für Flüchtlinge „unsinnig“ ist. Das sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Ernst-Ewald Roth am Mittwoch in Wiesbaden. Die FR hatte berichtet, dass der 22-jährige Mann aus Gießen, der eine Ausbildung in Bonn absolviert, wegen der Residenzpflicht nicht dorthin ziehen darf. Stattdessen muss er täglich 320 Kilometer weit pendeln.
Die Residenzpflicht besagt, dass Flüchtlinge nur mit besonderer Genehmigung ihren Landkreis verlassen dürfen. Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) hat angekündigt, Betroffenen einen Aufenthalt in ganz Hessen zu erlauben. SPD-Politiker Roth nahm den Fall von Bryan Rattan als Beleg dafür, dass der „Irrsinn der Residenzpflicht“ auch über die Grenzen Hessens hinaus aufgehoben werden müsse. (pit.)